Donnerstag, 4. März 2010

das unsagbare

was wichtig ist: das unsagbare, das weiße zwischen den worten, und immer reden diese worte von den nebensachen, die wir eigentlich nicht meinen. unser anliegen, das eigentliche, lässt sich bestenfalls umschreiben, und das heißt ganz wörtlich: man schreibt darum herum. man umstellt es. man gibt aussagen, die nie unser eigentliches erlebnis enthalten, das unsagbar bleibt; sie können es nur umgrenzen, möglichst nahe und genau, und das eigentliche, das unsagbare, erscheint bestenfalls als spannung zwischen diesen aussagen [...]. alles sagen bedeutet ein entfernen. es dürfte uns insofern nicht erschrecken, dass alles, was einmal zum wort wird, einer gewissen leere anheimfällt. man sagt, was nicht das leben ist. man sagt es um des lebens willen. wie der bildhauer, wenn er den meißel führt, arbeitet die sprache, indem sie die leere, das sagbare, vortreibt gegen das geheimnis, gegen das lebendige. immer besteht die gefahr, dass das geheimnis zerschlägt, und ebenso die andere gefahr, dass man vorzeitig aufhört, dass man es einen klumpen sein lässt, dass man das geheimnis nicht stellt, nicht fasst, nicht befreit von allem, was immer noch sagbar wäre, kurzum, dass man nicht vordringt zu seiner letzten oberfläche [...].

aus: max frisch, tagebuch 1946 - 1949



[csh]

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